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Qualitätsentwicklung in der Bewährungshilfe - Selbstevaluation

13. bis 15. Februar 2002 in der FH für Rechtspflege Bad Münstereifel

Referentin: Brigitte Rehling, ISS Frankfurt, Am Stockborn 5-7, 60439 Frankfurt

Ergebnisprotokoll der Tagung:

Anlass des Seminars

Die LAG Nordrhein Westfalen hat sich bislang eher am Rande mit Qualitätsentwicklung beschäftigt. Von BerufskollegInnen aus anderen Arbeitsfeldern ist zu hören, Qualitätsbeschreibung und -sicherung scheint damit einherzugehen, dass ungeheuer viel dokumentiert, analysiert und zu Papier gebracht wird. Das fühlbare Ergebnis der daraus folgenden Umstrukturierungen scheint zu sein, dass hinterher mehr Arbeit von weniger Menschen geleistet wird. Wie und Warum also die Beschaffenheit und Güte (Qualität) der eigenen Arbeit beschreiben und bewerten? Freie Träger verkaufen sich besser als die staatliche Straffälligenhilfe. Finanz- und Legitimationskrise erfordern, Ziele und Wirksamkeit zu präzisieren. Qualitätsbeschreibung und -sicherung im sozialen Bereich ist in unterschiedlicher Weise möglich. Ein für die Bewährungshilfe brauchbares Verfahren scheint Selbstevaluation zu sein.

Ziele des Seminars

Die Seminarteilnehmer werden "Forscher in eigener Sache". Sie entwickeln Qualitätsstandards und Qualitätssicherungsstrategien, für deren Realisierung sie selbst verantwortlich sind. Sie kennen und benennen ihre Ziele, hinterfragen ihre Handlungen, suchen Indikatoren dafür, was wirkt und was nicht. Dieses unserer Ansicht nach für die Bewährungshilfe praktikable Verfahren impliziert ein Nachdenken über Standard gewordene Prozesse. Man kann Selbstevaluation als Schwester der Supervision bezeichnen. Das Seminar soll Begrifflichkeiten erklären, in das Thema einführen und praktische Übungen beinhalten. Die Teilnehmer können Schlüsselprozesse definieren und Instrumente entwickeln, konkrete Standards zu sichern oder zu verbessern. Teilnehmen mögen die an der Qualitätsentwicklung Interessierten, Berufseinsteiger, Bezirkssprecher und alle KollegInnen, die sich über ihre Berufspraxis austauschen und sich über konkrete Standards verständigen wollen.

Seminarstruktur:

1. TeilnehmerInnen – Motivation - Referentin

2. Schlüsselprozesse definieren am Beispiel von:

  • Erstgespräch

  • Stellungnahme in d. Hauptverhandlung

  • Sprechstunde

unter Berücksichtigung von

  • Zielen dieser Schlüsselprozesse

  • Qualitätsmerkmalen

  • Nachweisbarkeit 

3. Begriffsklärung: 

  • „smarte“ Ziele,

  • Kunde,

  • Eingangs-, Struktur-, Prozessqualität,

  • Schritte der Qualitätsentwicklung (QE), Prozessabläufe, Qualitätssicherung

4. Verfahren der Qualitätsentwicklung und -sicherung (ISO, TQM, EFQM)

5. Wie kann es weitergehen? – Ideen - Schlussstrich

1. Zum LAG-Seminar vom 13. - 15.02.02 in Bad Münstereifel waren angereist:

Arno Suhr aus Duisburg-Hamborn, Stephan Stockhausen aus Essen (Rüttenscheider Platz), Wolfgang Benzing aus Bochum, Norbert Boxberg aus Mönchengladbach, Eberhard Weber aus Waldbröl (LG Bonn), Lucy Lennartz-Schweda, Marlies Schönig und Andreas Neumann aus Köln, Christine Ramm aus Herford, Jutta Woestmann aus Ahlen, Willy Pauly-Steimer aus Coesfeld, Frank Kleingünther aus Hagen , Uli Hassel und Silvia Wesselkock aus Dortmund.

Interessiert an der Teilnahme, aber leider verhindert waren: Angela Meyer, Detmold; Mechthild Telaar, Krefeld; Petra Linke, Moers; Monika Braam, Kleve; Meinolf Kröger, Hagen; Hartmut Lacombe, Iserlohn; Claudia Reiske, Olpe; Hermann Efferz, Bonn; Barbara Breithaupt, Mettmann; Werner Schröder, Schwelm; Martin Dries, Gummersbach; Peter Märkert, Herne; Karina Paarmann, Rheine; Conni Lohmöller u. Maria Wobbe-Burkhard, Bielefeld. Auch Ihnen soll daher das Protokoll zugehen..

Motivation zur Teilnahme war:

  • "Lernen von den besten Ideen anderer" als Methode u. a. für Berufseinsteiger

  • Mandy Walters Impulsreferat auf der Mitgliederversammlung der LAG am 24.10.01

  • Vernetzungsprojekt in Duisburg (das eine Leistungsbeschreibung der BwH erforderlich macht)

  • Anknüpfung an Standards und Strukturpapier

  • Modellvorschlag im LG-Bezirk Bonn, Standards zu entwickeln.

Für die Zielerreichung sammelten wir per Kartenabfrage Wünsche u. Erwartungen unter :

  • Am Thema Qualitätsentwicklung (QE) interessiert mich...

  • Das Seminar hat sich gelohnt, wenn...

  • Das Thema QE in der Bwh bringt leider mit sich...

Frau Brigitte Rehling begleitete uns  für eineinhalb Tage durch das Thema. Sie ist Dipl.-Sozialwissenschaftlerin und beim Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt a. Main im Fachbereich Organisationsentwicklung und Sozialmanagement beschäftigt. Seit 1995 hat sie mit Qualitätsentwicklung und Selbstevaluation zu tun und hat für ein Landesjugendamt und einen ASD Schlüsselprozesse und Problemklärung vermittelt. Die Bremer Bewährungshelfer hat sie bei ihrer Standardentwicklung begleitet, wobei sie in sechs Terminen die fünfköpfige Projektgruppe bei der Diskussion mit allen Bewährungshelfern unterstützt hat.

In Eigenregie definierten wir in Kleingruppen drei Schlüsselprozesse, die wir zusammen mit Frau Rehling auf ihre Ziele, ihre Merkmale, ihre Nachweisbarkeit bearbeiteten. Im folgenden sind diese Ergebnisse unter 2. aufgelistet.

 

2. Schlüsselprozesse definieren - Benchmarking

Frei auszuwählende Prozesse, die bedeutsam für soziale Arbeit sind und regelmäßig im Betreuungsprozess vorkommen. „Schlüssel“ als Situationen oder Prozesse, die besonders viel Einfluss haben, als Teile des Ganzen, die besonders bedeutsam sind.

Als Schlüsselprozesse sammelten wir: Berichte, Sprechstunde, Erstgespräch, Abschlussgespräch, Stellungnahme in Hauptverhandlung, Hausbesuch, Kontaktabbruch. (Kontakthaltung und Beziehungsaufbau beziehen sich eher auf den Gesamtprozess, bzw. sind ein Instrument in der Arbeit. Dienstbesprechung kann bezogen auf den Probanden ein Schlüsselprozess sein.)

In drei Gruppen definierten wir den Ist-Zustand, den alle praktizieren und sammelten, was einige machten nach folgenden

Regeln:

  • Jede/r darf erzählen, was er tut.

  • Niemand wird dafür kritisiert, was er tut.

  • Minimalkonsens verabreden = Ist-Standard

  • Diskussion über „best practise“- Soll-Standard festlegen

Ist-Zustand

Soll-Vorschläge

Was macht jede/r?

 

 

 

Kleinsten gemeinsamen Nenner suchen

Oder größtes gemeinsames Vielfaches!

Was machen einige?

 

Gute Ideen anderer

 

Bedenkenswertes

  • Erstgespräch

Ist-Zustand

 

Was macht jede/r?

  • Beschluss lesen

  • Einladung

  • Darstellung der Grundlagen

  • Was ist dem Probanden unklar?

  • Hinweis auf Schweigepflicht

  • Info über Umfang der Berichtspflicht

  • Abfrage über Erreichbarkeit des Prob.

  • Situation des Prob.:      Arbeit

  • Einkommen

  • Familie jetzt

  • Wohnsituation

  • Schulden

  • Abhängigkeiten

  • Auflagen besprechen

  • Klärung der Kontakthaltung

  • Info über Sprechzeiten und Erreichbarkeit

 

 

 

 

Was machen einige?

  • Einladung mit Infoblatt

  • mit Wegbeschreibung

  • nicht zur Sprechstunde, aber mit genauer Uhrzeit

  • Urteil lesen

  • Störungen ausschliessen (Telefon)

  • Getränke anbieten

  • nicht in der Dienststelle allein sein

  • Gespräch über die Straftat

  • Darstellung der Erwartung d. Bwh an den Prob.

  • Info über meinen Umgang mit Auflagenverstössen

  • Abfrage, inwieweit d. Familie informiert ist

  • Abklären, ob Anbindungen an andere professionelle Hilfen bestehen

  • Infos über die eigene Person

  • Herkunftsfamilie

  • Pläne des Probanden

  • Was will er/sie mit mir besprechen?

  • Raum für gemeinsame Zieldefinition

  • Gesundheit

  • Nachfrage nach Gesprächswünschen des Probanden

 

Ziele:

1. Bwh und Proband kennen ihre wechselseitigen Erwartungen. (Was zeigt, dass das erreicht ist?)

2. Form und Abstände der Kontakthaltung werden festgelegt.

3. Informationen werden gegeben und ergänzt. ( Welche? Präzisieren, evtl. prüfen, ob Proband das verstanden hat.)

> Welche „guten“ Eigenschaften/Merkmale soll der Schlüsselprozess aufweisen?

Erfinden Sie einen Slogan (,der nicht das Produkt, sondern den Nutzen bewirbt)!

Hier: Ich habe ein Ohr für ihre Erwartungen.

> Was müssen wir immer tun/sicherstellen, damit diese Merkmale erreicht werden?

(Frage nach der Nachweisbarkeit; Hilfe: Was wäre die Kundenerwartung an...?)

hier: (sorry, weiß ich nicht mehr; vielleicht Infoblatt austeilen oder Nachfrage, ob Anforderungen klar sind??)

 

Leitfrage der Qualitätssicherung : Auf welche Weise können wir nach aussen und innen nachweisen, dass unsere definierten Standards in der Alltagspraxis eingehalten werden?

Hier: Checkliste, Vermerk, Infoblatt über Bwh; Rückfrage, ob alles verstanden wurde

Schon abgesichert: Beschluss lesen, Einladung in der Akte, Rechte u. Pflichten vermerkt, Infoblatt, Erreichbarkeit des Probanden an zentraler Stelle in der Akte vermerkt, Information über Berichtspflicht, Sprechzeiten

 

  •  Stellungnahme Hauptverhandlung

Ist-Zustand

 

Was macht jede/r?

  • Berichterstattung im Sitzen

  • Teilnahme immer, wenn ich positiven Beitrag leisten kann

  • Vorbereitungsgespräch mit dem Probanden

  • Nach der HV Gespräch mit dem Probanden

  • Eigene Vorbereitung auf HV anhand bisheriger Berichte und Vermerke

  • Ausgewählte Kleidung

  • Inhalt der Stellungnahme:

  • Betreuungszeitraum

  • Kontaktfrequenz

  • Lebenssituation

  • bei Bedarf Anamnese

  • Hintergründe der Straftat

  • Empfehlung für Bewährung,

  • für Auflagen/Weisungen

  • ODER: schweigen

  • freie Rede nach Aufforderung

  • Anwesenheit d. Bwh in HV= Zeichen für Kontakthaltung

  • Nehmen teil als Zeuge (beim LG)

  • Informatorisch (beim AG)

  • Kurzer/langer Bericht abhängig vom Interesse des Gerichtes

Was machen einige?

  • Information des Probanden über Stellungnahme

  • Rede auf eigene Initiative

  • Platz neben dem Staatsanwalt (mit Abstand)

  • Platz neben dem Probanden, wenn kein Rechtsanwalt da ist

  • Platz in der ersten Besucherreihe (wie Presse, Sachverständige)

  • Teilnahme an HV nach Ablauf der Bewährung

  • Besonderes Augenmerk auf Schöffen

 

Ziele:

1. Ich will sicherstellen, dass der Richter alle mir bekannten Argumente für eine Bewährungsaussetzung kennt.

2. Strafaussetzung zur Bewährung soll erreicht werden. (ts, ts, kein smartes Ziel, nicht akzeptiert, nicht realisierbar!)

3. Ich will den in der Bewährungsaufsicht gelaufenen Prozess darstellen.

4. Ich will Einfluss nehmen auf den etwaigen Bewährungsbeschluss.

(Kontrollfrage: Woran erkenne ich, dass ich das geschafft habe?)

 

 > Welche „guten“ Eigenschaften/Merkmale soll der Schlüsselprozess aufweisen?

Erfinden Sie einen Slogan (,der nicht das Produkt sondern den Nutzen bewirbt)!

Hier: Urteil finden - leicht gemacht!

Gute Eigenschaften: Stellungnahme ist strukturiert; enthält mindestens: Betreuungszeitraum, Kontaktfrequenz, Lebenssituation; unterscheidet Fakten und Wertungen.

> Was müssen wir immer tun/sicherstellen, damit diese Merkmale erreicht werden?

(Frage nach der Nachweisbarkeit; Hilfe: Was wäre die Kundenerwartung an...?)

hier: Wir müssen uns vorbereiten, laut u. deutlich sprechen, die Akte mitnehmen und einen Spickzettel mit den wichtigen Fakten haben.

> Leitfrage der Qualitätssicherung : Auf welche Weise können wir nach aussen und innen nachweisen, dass unsere definierten Standards in der Alltagspraxis einge-halten werden?

Hier: Vermerk in der Akte, ob Gericht meinem Vorschlag folgte, Bericht an das bewährungsaufsichtsführende Gericht

Schon abgesichert: Gespräch mit Probanden vor u. nach der HV, Nachweis im Vermerk

 

  • Sprechstunde

Ist-Zustand

 

Was macht jede/r?

  • Festgelegte verbindliche Sprechzeiten

  • Stehen auf dem Kopfbogen

  • Zwei Sprechstunden, jeweils vor- u. nachmittags

  • Vormittags: 9-12 Uhr

  • Nachmittags Zeitrahmen: 13-19 Uhr

  • Telefonate werden angenommen

  • Wartebereich vorhanden

 

 

 

Was machen einige?

  • Sprechzeiten auf Visitenkarte

  • Sprechzeit bis 18 Uhr

  • bis 19 Uhr

  • feste Termine innerhalb der Sprechstunde

  • keine festen Termine

  • Wartezimmer

  • Getränkeangebot im Wartebereich

  • Sprechzeiten werden anderen Institutionen mitgeteilt

  • Sprechzeit im Internet

  • Sondersprechstunde am Samstag

  • Kanzlei vergibt Termine für Sprechstunde

  • Spielecke für Kinder

 

Ziele:

1. Die Sprechstunde soll regelmäßige, persönliche Erreichbarkeit des Bewährungshelfers für Probanden, Institutionen, Arbeitgeber und Angehörige gewährleisten. (smartes Ziel, präzise, toll)

2. Klienten können autonom Zeit wählen, Kontakt aufzunehmen und zu halten.

3. Die Sprechstunde soll die Vorgabe meines Arbeitgebers erfüllen. (Ziel technisch richtig, aber produziert das Kundennutzen? Ziele müssen Sinn von unserer Fachlichkeit her machen oder für den Adressaten, Ziele sollen Energien bündeln. Kontrollfrage: Ist das Ziel fachlich richtig? Ist das Ziel smart?)

> Welche „guten“ Eigenschaften/Merkmale soll der Schlüsselprozess aufweisen?

Erfinden Sie einen Slogan (,der nicht das Produkt, sondern den Nutzen bewirbt)!

Hier: Reinkommen – Drankommen!

Gute Eigenschaft: Transparenz

Die Sprechstunde der BWH: Mo:  9-12 Uhr    Di: 15-18 Uhr

> Was müssen wir immer tun/sicherstellen, damit diese Merkmale erreicht werden?

(Frage nach der Nachweisbarkeit; Hilfe: Was wäre die Kundenerwartung an...?)

hier: Wir gewährleisten: Bekanntgabe, Drankommen, Vertretung!

> Leitfrage der Qualitätssicherung : Auf welche Weise können wir nach außen und innen nachweisen, dass unsere definierten Standards in der Alltagspraxis eingehalten werden?

Hier: Vermerk über Besuch des Probanden, Terminkalender, Besucherlisten, regelmäßig bei anderen Institutionen aktualisieren, wann Sprechstunden sind.

Nachweis: Probandenbefragung

 

3. Begriffsklärung

– Ziele – Kunde - Dimensionen von Qualität - Schritte der Qualitätsentwicklung - Prozessabläufe – Qualitätssicherung -

Ziel unserer Arbeit ist natürlich, dass Probanden nicht mehr rückfällig werden und Straftaten begehen. Dieses Ziel ist aber eines, das wir nicht garantiert erreichen können, sondern nur gelingt, wenn der Proband entsprechend mitmacht. Wir müssen daher präzise und erreichbare Ziele unterhalb dieses Zieles finden.

Es ist schon ein Erfolg, wenn Straffälligkeit anderer, geringerer Qualität folgt, wenn mehr Zeit zwischen Straftaten liegt.

 

Ziele sind Zustände in der Zukunft. Sie geben Antwort auf Fragen wie

Welcher Zustand soll erreicht werden?

Was soll erreicht werden?

Welcher Zustand soll dann herrschen?

Rückfallvermeidung ist eine wichtiges, aber nicht durch uns realisierbares Ziel. Ziele für Schlüsselprozesse sollten SMART sein:

S = spezifisch

M = messbar

A = akzeptiert

R = realistisch, realisierbar

T = terminiert

Für unsere zuvor erarbeiteten Schlüsselprozesse galt es smarte Ziele zu finden  und sich zu fragen, wie relevant diese Ziele aus der Kundensicht sind. (siehe Ziele unter den Schlüsselprozessen mit Anmerkungen)

Unser Kunde ist der „Auffällige“, dem wir als Dienstleister, als „Experte“ gegenüberstehen. Der Dienstleister erfüllt aber nicht das, was der Kunde wünscht, sondern erbringt eine bestimmte Leistung (keine Dienstbotenmentalität!). Diese Leistung ist einem begrenzten Adressatenkreis möglich. Uns fehlt eine Fallmesszahl, wie viel Probanden wir vernünftig betreuen können. Effiziente Betreuung meint dabei auch Planen, Bewusst machen, Reflektieren. Frau Rehling empfiehlt Zeitanalysen: was tue ich? Wie viel Zeit benötige ich für verschiedene Klassifizierungen von Klienten? Wie viel Kontakte sind nötig?

Als Kunde versteht man in Deutschland neben dem Adressaten der Arbeit auch den Auftraggeber und den Geldgeber.

Qualität bedeutet diskutieren und werten, was an Leistungen vorhanden ist. Was ist „best practice“? Es bedeutet, sich fallunabhängig darüber auszutauschen, was am besten ist und wirkt und kritisch zu fragen: Ist der derzeitige Standard der, den wir auch haben wollen?

Was finden wir warum wichtig?  Dieser Diskurs und ein gemeinsam getragenes Wissen macht die Qualitätsentwicklung aus. Standardisierbar ist relativ wenig.

Der Standard muss von allen getragen werden. Man kann immer besser sein als der Standard, nie aber schlechter. Widerstände gegen Standards resultieren aus einem geringen Bewusstsein der eigenen Qualität,  aus Angst, herausfinden zu müssen, nicht gut genug zu sein, aus dem Unwillen Autonomie bezüglich Zeit und Fachlichkeit aufzugeben. Und Achtung: In der Altenpflege frisst die Pflegedokumentation die Qualität. Dokumentationen müssen einfach handhabbar sein (Beispiel: halb standardisierter Fragebogen zu Ressourcen der Familie = Indikatoren für Erziehungsfähigkeit).

Qualitätsentwicklung in der Bewährungshilfe lohnt sich, obwohl die Qualitätsdebatte in vielen Bundesländern vor der Justiz halt zu machen scheint. Wir tun etwas, was uns selbst nützt, weil es uns Klarheit über unsere Prozesse bringt. Was wir leisten, können wir dann beschreibbar nach außen an Gesellschaft, Richter, Arbeitgeber bringen.

 

Qualitätsdimensionen:

  • Eingangsqualität: Zielgruppenmerkmale; gesetzliche Grundlagen; bestimmte Eigenschaften der Anfangssituation (eine Klassifikation am Anfang hat evtl. Auswirkung auf die Ergebnisqualität.)

  • Konzeptqualität: Was will man grundsätzlich erreichen? z.B. Vermeidung von Straftaten; Fachstandards

  • Strukturqualität: materielle Rahmenbedingungen des Erbringungsprozesses: Geld, Personal, Räume (häufig nicht beeinflussbar von denen, die die Qualität erbringen. Diskussion darüber blockiert inhaltliche Auseinandersetzung mit den selbst gestalteten Prozessen.)

  • Prozessqualität: standardisierbare, die Effizienz sichernde Soll-Merkmale des Erbringungsprozesses; sich wiederholende Handlungen und Vorgehensweisen; Schlüsselprozesse; für uns immer eine  Co-Produktion mit den Adressaten!

  • Ergebnisqualität: Beendigung von Prozessschritten (wir bauen ja keine Autos); erreichter Kundennutzen, Kontrolle von (Zwischen-) Zielen

Zur Effizienz: Um Vorgänge effizienter zu gestalten, kann man nur versuchen, den Bereich der Blind- und Fehlleistungen zu reduzieren. Jede Leistung gliedert sich in:

  • 25% Nutzleistung ( z. B. Gespräch mit Probanden)

  • 45% Stützleistung (Einladung zum Gespräch, Vorbereitung,  Aktenführung..) Dieser Bereich ist immer höher als die reine Nutzleistung.

  • 20% Blindleistung (Einladung extra formuliert statt Vordruck, individuelle Wegbeschreibung)

  • 10% Fehlleistung ( falsches Datum benannt, falsche Adresse, Doppelbetreuung)

Schritte der Qualitätsentwicklung

Ein Ist-Standard ist recht schnell beschrieben, aber benchmarken bedeutet, nicht sofort seinen Standard festzulegen, sondern kritisch zu fragen, was gut ist, zu bewerten, was das Beste ist, darüber in Diskurs zu geraten.

Frau Rehling rät, sich für die ersten beiden Schritte Zeit zu nehmen:

1. Bestandsaufnahme der vorhandenen Qualität einer Dienstleistung

2. Kritische Überprüfung unter Einbeziehung der Kundenperspektive

3. Formulierung von Soll-Standards als Minimalkonsens

4. Sicherungsstrategien, bzw. prüfbare Kriterien und Indikatoren für konstitutive Standards entwickeln

5. Prüfinstrumente entwickeln und einsetzen

6. Ist-Soll-Vergleich und evtl. Gegensteuerung

 

Darstellung von Prozessabläufen (siehe Schema) ist eine Methode, Blindleistungen aufzuspüren und Zeitabläufe zu erfassen. Qualitätshandbücher beschreiben derartige Schritte und legen Ablaufpläne mit einer Zeitschiene fest. Methodische Vielfalt soll nicht standardisiert werden, aber Beliebigkeit muss ausgeschlossen werden. Vielfalt ist gut. Es macht Sinn, sich über effizientere Dokumente zu unterhalten. Textbausteine, Raster und formalisierte Vorgänge sind leichter vergleichbar und überprüfbar. Sie können bei Antworten helfen auf:

Wie viel Zeit kostet mich ein Fall?

Wie viel Probanden kann eine Vollzeitstelle verkraften?

Welche Frage müssen in der Anamnese immer gestellt werden?

Welche Informationen sind wichtig und wie lassen sie sich umsetzen?

(Achtung: Festgelegtes ist unterhalb der besten Lösung. )

 

Schritte der Qualitätssicherung

1. Definition und Auswahl von Schlüsselprozessen

2. Bestandsaufnahme: Was machen alle/ ...einige? Wo sind die Unterschiede? Wertung: Was ist angemessen/gut? Qualitätsziele: Ist das Ziel angemessen? Ist das Ziel kundenorientiert? Entspricht es fachlichen Standards?

3. Festlegung von Soll-Standards: zum Teil der Ist-Zustand, zum Teil verbesserter Ist-Zustand, zum Teil Neues

4. Sicherung der Nachweisbarkeit von Standards

Nach diesen Schritten muss man sechs Monate oder ein Jahr arbeiten und dann wieder Standards überprüfen, bewerten, verbessern, neu festlegen = kontinuierlicher Verbesserungsprozess.

Einen Standard verändern oder erproben oder nachweisbar machen, braucht viel Zeit. Meistens dauert es ein Jahr, bis Routinen sich ändern. (Nur zwei Mitarbeiter im ASD verwendeten Beziehungsmaps (systemische Beratung)- am Ende war es ein Standard für 17 Mitarbeiter.)

Qualitätssicherung besteht meistens aus Ablaufsicherung, das bedeutet  z.B. Aktenlaufzettel.

Kundenzufriedenheit hat zum Ziel, dass sich der Adressat mitteilen kann. Die Bremer Kollegen machten eine Befragung (siehe Anlage). Möglich ist auch offensives Beschwerdemanagement (wie im Kaufhaus: wenn Sie länger als 5 Minuten warten, kriegen Sie 1 Euro) wie z.B. Meckerkasten. Skalierungsfragen: (bemüht sich um Arbeit auf einer Skala von 1-6 mit dem Wert 4) Dokumente: Einschätzungsbögen (Bögen zum Ankreuzen)

Was mache ich und kann ich das systematisieren u. vereinfachen? Ich erreiche nie Objektivität, wohl aber messbare Indikatoren, an denen ich meine Einschätzung fest mache.

Frau Rehling empfiehlt Formblätter und Standardisierungen. Der ASD hat z.B. ein Protokoll für Gespräche entwickelt, das immer „Ziel“ u. „Vereinbarung“  enthält. (siehe Anlage Vermerkvordruck aus der BWH Ahlen)

Organisationen wissen oft nicht, was sie wissen. Auch Diskussionen ohne Konsens haben ihren Wert, denn sie verändern bereits und lenken den Blick auf Vereinfachung, Sensibilisierung und verleihen mehr Souveränität.

 

4. Verfahren der QE:  Selbstevaluation - ISO –TQM – EFQM 

Selbstevaluation ist das geeignete Verfahren, um die Fachlichkeit als Teil der Prozess- und Ergebnisqualität sozialer Arbeit zu entwickeln und zu sichern. Was man selbst bewertet oder auswertet, muss mit der Praxis in Einklang gebracht werden. In solistischen Arbeitsstrukturen gelingt das prinzipiell unzureichend, weil die verschiedenen beteiligten Systeme miteinbezogen werden.

Kollegiale Beratung ist  z.B. eine Form der Selbstevaluation. Mitarbeiter können für ihre eigene Praxis selbstevaluative Qualitätsentwicklung betreiben. Dies kann im Rahmen eines Organisationsqualitätsmanagements erfolgen, aber auch losgelöst davon für jedes Team eine Methode darstellen, die Praxis zu bewerten und zu verbessern.

Man kann nicht überall Bereitschaft und Kompetenz voraussetzen, Qualitätsmanagement zu machen. Selbstevaluation ist aber integraler Bestandteil der Berufsrolle, nämlich über Handlungen nachzudenken, ihre Wirksamkeit zu erforschen und sie zu bewerten.

Frau Rehling verfolgt den Plan,

a) Qualitätsbewusstsein in Teams und Subsystemen herzustellen (es wird bereits gute Arbeit geleistet!)

b) Austausch zu fördern über: Was machen wir ? Was machen wir unterschiedlich? und so an einer gemeinsamen Verantwortung für Qualität guter Bewährungshilfe zu wachsen.

c) Sich selbst zu vergewissern, wie gut man ist und bezüglich der Unterschiedlichkeiten zu werten: ist das akzeptiert, hinnehmbar oder zeugt es von geringerem Qualitätsniveau?

Die „Päpstin“ der Selbstevaluation ist Maja Heiner von der Uni Tübingen. Frau Reh-ing geht weniger streng wissenschaftlich, eher pragmatischer vor.

ISO: (International Standard Organisation)  Die ISO 9000 ff beschreiben dienstleistungsbezogene Standards. Bei einer ISO-Zertifizierung muss die Leitung ihre Qualitätsziele formulieren. Zertifizierung bedeutet aber nur: hier wird Qualitätssicherung betrieben. Man könnte auch einen Mafia-Überfall zertifizieren. Ein  unabhängiger „Auditor“ wird „eingekauft“ und überprüft die Qualitätssicherung in regelmäßigen Abständen. Die neuen ISO-Normen haben als Kategorie „Mitarbeiterzufriedenheit“ aufgenommen, d.h. Mitarbeiterzufriedenheit muss bis zu einem bestimmten Grad erfüllt sein.

TQM: (Total Quality Management) Die aus Japan kommende Methode hat das Ziel, Qualitätsbewusstsein ständig zu verankern. In Qualitätszirkeln wird gefragt: was läuft gut? Wo müssen wir was verbessern? Das Motto wäre: Du kannst jeden Tag alles ganz anders machen, es darf nur nicht schlechter werden.

EFQM: (European Foundation for Quality Management) Organisationen befragen sich selbst, indem sie Fragebögen einkaufen, die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit erheben. Eine bestimmte Punktzahl muss erreicht werden.

Wohlfahrtsverbände haben eigene Auditoren. AWO und Caritas haben z.B. eigene Mitarbeiter zu Qualitätsmanagern oder Qualitätsbeauftragten geschult, die alle zwei Jahre  durch externe Audits überprüft werden.

Literatur zum/ über das Thema:

Mythos Motivation, Spenger

Heiße Luft in neuen Schläuchen, C.Demmer, R. Hoerner, Eichborn-Verlag

 

5. Wie kann es weitergehen? – Ideen - Schlussstrich

Das ISS/Frau Rehling bietet „In-Haus-Seminare“ an , z. Zt. Angebot für das Justizministerium Rheinland-Pfalz.

Wie kann ich Qualitätsentwicklung in meiner Dienststelle installieren? Wie stelle ich mir QE weiterhin vor? – Ergebnisse aus drei Kleingruppen:

  • um Akzeptanz in der Kollegenschaft zu gewinnen, muss Information, am besten durch externen Referenten erfolgen.

  • Autonomiesicherung

  • Einbindung der Leitungsebene. Man braucht „Gallionsfiguren“, die das Schiff QE voranbringen.

  • Positive Anreize wie persönlichen Lernerfolg deutlich machen

  • Kollegen nicht überfordern, überlasten, nicht zuviel tun und langen Atem haben

  • Ort: auf BAG-Ebene

  • Orte für QE (Ist-Zustand): Konsultationsgruppe/ Dienstbesprechung/ Etagenbesprechung/ Fallbesprechung/ themenorientierte Arbeitskreise/ informelle kollegiale Beratung

  • Slogans: Tue Gutes und rede darüber! - Wir leisten gute Qualität ! – Wir produzieren innere Sicherheit

  • Transparenz

  • Freiwillige Teilnahme an verbindlicher Gruppe; überschaubare Teamgruppe

  • Information in Dienstbesprechung zu Stärken u. Schwächen von QE

  • Einfache Schlüsselprozesse auswählen für eine offene Gruppe

  • Fragebogen zur Kundenzufriedenheit

  • Gewinn des Austausches: russisches Informationsblatt für Probanden

       

Ideen der Teilnehmer:

  • QE als Thema für JM-Tagung

  • Thema für Qualifizierung der Koordinatoren

  • Über LAG-BAG könnten sich Gremien bilden, die alle oder exemplarisch einen Schlüsselprozess definieren.

  • Der LG-Bezirk Bonn mit vier Dienststellen könnte Modellprojekt werden, da hier bereits beantragt wurde, einen solchen Entwicklungsprozess zu fördern. (Teilnehmer des Seminars erhalten die internen Qualitätsstandards der Dienststelle Waldbröl von Eberhard Weber.)

  • ein Modellprojekt pro LG-Bezirk

  • Das Zentrale ist das Lernen von den besten Ideen anderer – der Austausch soll gewährleistet bleiben.

  • Brauchen wir einheitliche Standards?

  • Selbstevaluative Qualitätsentwicklung könnte im Land betrieben werden. Kann sich der Arbeitskreis Fortbildung des Themas annehmen?

  • LAG könnte Ideenbörse, Materialverweis o. ä. sein.

  • Fachhochschulen und das Arbeitsfeld Bewährungshilfe könnten hier zusammen arbeiten.

 

Schlussstrich:

Frau Rehling sieht die Qualität sozialer Arbeit in erster Linie davon abhängig, wie weit der Helfende in der Lage ist sich einzulassen und Kontakt zu machen. Sie zitiert aus „Zen oder die Kunst des Motorradwartens“: Qualität ist ein Ereignis, wenn das Subjekt etwas verschmilzt mit dem Objekt.              

Die Teilnehmer nannten vierfach, dass selbstevaluative QE ein  praktikables Verfahren und umsetzbar in Dienststellen ist.

An den Begriff Selbstevaluation gewöhnt man sich langsam. Eine zweitägige Beschäftigung mit dem Thema reicht einem aber erst mal.

Das Thema wurde konstruktiv erlebt,  gut vermittelt und auf eigene Prozesse „heruntergebrochen“. Man muss einfacher denken lernen und Handlungen auf den Punkt bringen. Prozessdarstellung ist ein gutes Handwerkszeug.

Es fehlt die „Kosten-Nutzen-Rechnung“. Es besteht die Befürchtung vor Blockaden; da steckt viel Arbeit drin. Am Ende wird mehr Arbeit von weniger Mitarbeitern geleistet.

Hauptkapital unserer Arbeit ist und bleibt unsere emotionale und soziale Kompetenz.

Die Anlagen zum Protokoll sind z. T. bei den Materialien zu finden.

(Seminarprotokoll von Silvia Wesselkock – Februar 2002)

Ansprechpartner zu dem Seminar sind:

Andreas Neumann, Apostelnstr. 13, 50667 Köln, Fax: 0221-20238100 oder

Silvia Wesselkock, Elisabethstr. 2, 44139 Dortmund, Fax: 0231-95203624